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Berliner Madonna

ANTOINETTE, nur echt in Versalien, gab sich den Vornamen zum Namen, wie die L´art brut-Künstlerin Ursula, als ein Markenzeichen ihrer Künstlerinnenindividualität, deren umwerfenden, so farbprächtigen wie figurenreichen Bilder und allegorischen Skulpturen in der Kunsthalle Arnstadt zu sehen sind.

Von Peter ARLT

Parallelen zu der legendären Marie Antoinette, die unter der Guillotine zwar den Kopf, aber nicht den Mut verlor, sieht die Vollblutkünstlerin mit bewegter Biografie nicht. Entscheidend ist anderes. Wie ihre jüdische Tante wollte sie Malerin werden. Zuerst studierte sie in Leipzig, wo sie aufwuchs, an der Hochschule für Grafik und Buchkunst, später an der Kunsthochschule Berlin-Weißensee mit Diplomabschluss 1984. Dass sie 1992 noch Meisterschülerin bei Bernhard Heisig wurde, lässt ihren Lebenslauf geradlinig erscheinen. Konsequent träfe eher zu, denn ihr Leben weist Windungen auf, die das Lebenspralle ihrer Kunst erklären können: die Mutterschaft als Zwanzigjährige und die Arbeit als Modell, Kellnerin, Nachtwächterin, Postbotin und in anderen Berufen. Dazu gehört, dass sie damit aneckte, in einer Wassermühle in der Uckermark ein alternatives Kulturzentrum zu gründen und den Umweltschutz und die Gleichberechtigung der Frauen kritisch zu hinterfragen. Ihr Lebensmodell, das vom vorgelebten abweicht, beschränkt beziehungsfähig zu sein auf das Maß der Selbstverwirklichung. Dass das nicht Egoismus bemäntelt, sieht jeder, dem die Wucht ihrer ungemein vielseitigen und umfangreichen Produktivität begegnet, ob als Malerin von Triptychen im vielseitigen Themenspektrum, von Porträtserien, Landschaften und Stillleben, von Wand- und Bühnenbildern, als Schöpferin von Mosaiken, Plastiken, Keramiken, Installationen, Performances und Mode, als Illustratorin des Hohelied Salomos usw. Die große Kunsthalle kann zahlreiche Werke, aber nur einen winzigen Ausschnitt des Schaffens dieser Künstlerin von Rang präsentieren.

Am stärksten verblüfft vielleicht, dass diese fantasievolle Künstlerin, die ihre Stillleben nicht als Abbilder von Blumen, sondern als Feuerwerke funkelnder Farben malt, und die erfindungsreich aus Mythen und Märchen schöpft, wo Dreiäuglein einen Menschen mit siebten Sinn personifiziert, jenes Fach für sich erobert, das am meisten Disziplin und Versenkung in einen anderen Menschen fordert: das Porträt. Eine Fundgrube für zeitgeschichtliche Museen ist die von 1999 bis 2003 entstandene Folge „Berliner Sittengemälde“ mit 180 lebensgroßen Porträtpastellzeichnungen. In ihnen gelang es der Künstlerin, auf den Seelengrund der Porträtierten in ihrem Umfeld vorzudringen. Davon kann sich der Ausstellungsbesucher überzeugen, wenn er den Bildern vom Schauspieler Hilmar Thate oder vom Politiker Egon Bahr, der mehrfach, auch als Büste zu sehen ist, gegenübertritt. Manch andere sind noch zu sehen, wie dieses verschlossene, geschlechtslose Wesen, welches einen großen Berliner Verlag leitet. Den Namen muss man auf der Liste suchen. Da wäre es hilfreich, würde die Kunsthalle die Bilder nicht benummen, sondern beschriften. Eventuell wäre dann beim Hängen aufgefallen, dass das Triptychon „Vogelfutter am Moritzplatz“ mit den beiden Kleinwüchsigen und den beiden Fressern auseinander gerissen ist. Diese Pastellbilder stammen aus der Folge großer „Geschichtenbilder“, die Berliner Leben einfangen, wie die „Berliner Madonna“ am Brandenburger Tor, die, ein Enkel im Schoß, mit zutraulichem Affenpaar auf dem Dach eines Autos sitzt, an dessen Lenkrad eine pfiffige Ratte das Lenken probt. Die Künstlerin gibt ihrem Affen Zucker, lässt Männer schrumpfen, das sie auf den Hutrand passen, lässt Angsthasen ins Haar schlüpfen oder Hunde sich auf Frauchens Kopf fläzen. Mit „prismaartigen Spiegeln“ fängt ANTOINETTE Momente der Wirklichkeit ein, die sich fantasiereich und lebensprall in eine Bildwelt ohne Schwerkraft mit sogartigen und stürzenden Perspektiven und expressiver Farbe verwandeln.

Bis 14. Juni, Mi – Fr 12 – 18 Uhr, So 14 – 18 Uhr, Kunsthalle Arnstadt, Angelhäuserstraße 1